Recycling lässt sich leicht versprechen und nur schwer umsetzen, eine Weiternutzung wäre zudem das deutlich bessere Recycling 

Gastkommentar von Michael Halstenberg, Leiter des Verbands- und Kooperationsmanagements Bau bei der VHV Allgemeine Versicherung AG und Vorstand der Initiative Deutschland baut! e.V. 

Bei Verbrauchsgütern soll die Europäische Kommission im Rahmen der Überarbeitung der Ökodesign-Richtlinie 2022 einen Gesetzesvorschlag zum Recht auf Reparatur vorlegen. Denn Weiternutzen ist das beste, vorstellbare Recycling. 

Wenn wir die Probleme des Klimawandels und der zunehmenden Materialverknappung annähernd in den Griff bekommen wollen, müssen wir auch im klassischen Hausbau umfängliche Reparaturen durchführen und dauerhaft ermöglichen. Bei Beschädigung oder Verschleiß lässt sich schon heute vieles, gerade im Bereich der technischen Gebäudeausrüstung und der Gebäudehülle, nicht mehr reparieren oder wenigstens recyceln. Zudem werden auch reparaturfähige Bestandsbauten oft aus wirtschaftlichen Gründen abgerissen. 

Gebäudeabriss kontra Wohnungsnot 
Wir leben nach wie vor in einer Wegwerfgesellschaft. Dafür spricht ein konstantes Abfallaufkommen von sage und schreibe 417 Millionen Tonnen im Jahr 2021. Mehr als die Hälfte davon stammt aus dem Bereich Bauen und Abbruch. Davon entfällt das meiste zwar auf den Straßenbau, doch trotzdem ist festzustellen, dass jetzt die Gebäude aus den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern des letzten Jahrhunderts in die Jahre gekommen sind. Klimapolitisch gibt es keine Alternative: Wir müssten diese dringend sanieren und können uns einen großflächigen Abriss vor allem der Rohbauten, der sogenannten „grauen“ Energie, nicht leisten. Und auch die von der Bundesregierung versprochenen 400.000 Wohnungen müssen zumindest in großen Teilen im Gebäudebestand geschaffen werden, sei es durch Aufstockung, Umnutzung oder Reparatur. Ansonsten wird der Gebäudesektor die gesteckten Ziele des Klimaschutzes weit verfehlen. 

Aber nicht nur der Klimaschutz ist eine Herausforderung. Gleichzeitig entwickelt sich die Materialknappheit zu einem immer größeren Problem. Vor einigen Jahren noch unvorstellbar ist Rohstoffknappheit heute längst im Alltag der Baubetriebe angekommen. Ob Holz, Metalle, Dämmmaterialien oder Bausand: Immer mehr Rohstoffe müssen auch aufgrund des zunehmenden Landschaftsschutzes verstärkt aus dem Ausland beschafft werden, was die Preise in die Höhe schnellen lässt. Hinzu kommt, dass auf den internationalen Märkten viele Nationen vertreten sind, die weiterhin auf klassisches Wachstum setzen und dafür viel Material benötigen, allen voran China und die USA. Verbaute Materialien werden daher auch ökonomisch immer wertvoller. Der sogenannte „Ersatzneubau“ wird für viele in absehbarer Zeit nicht mehr finanzierbar. Es mag für viele seltsam klingen, aber wir müssen Gebäude nicht mehr als Zwischenlager für Materialien, sondern als deren Endlager betrachten. 

Das Thema Recycling wird überschätzt 
Natürlich gibt es schon heute verschiedene innovative Ansätze für Recycling entlang der Wertschöpfungskette Bau. Angefangen von einer Kennzeichnungspflicht, etwa bei Kunststoffteilen, mit einem dedizierten Recyclingcode, wie ihn die Automobilindustrie bereits erfolgreich nutzt. Ansätze wie diese könnten dabei unterstützen, dass später eine Wiederverwendung auf derselben Stufe und in gleicher Funktion wie vorher möglich ist und ein sogenanntes Downrecycling vermieden wird. Voraussetzung für eine tragfähige Recyclingstrategie ist eine durchdachte Vorplanung der Projekte, die entscheidende Nachhaltigkeitskriterien von Beginn an einschließt. Beispiel ist der industrielle Hallenbau. Bei derartigen Hallenbauten werden verstärkt Leichtbauteile verwendet, ähnlich einem Lego-System. Im klassischen Hausbau hingegen sind nur die allerwenigsten Materialien und Systeme reparatur- und recyclingfähig. Der Grund: Der Preis. Analog zu Elektrogeräten wird viel geklebt statt verschraubt. Der gezielte Austausch von Komponenten, wie beispielsweise Fensterscheiben oder Dämmstoffen, setzt jedoch voraus, dass diese Materialen von den übrigen Komponenten mechanisch getrennt werden können. Das ist in der Vergangenheit über lange Zeiträume nicht berücksichtigt worden. Als Beispiel seien die Dämmungen der Außenwände von Gebäuden genannt, die mit finanzieller Förderung des Staates vielfach in Form von geklebten Verbundsystemen ausgeführt wurden. Eine erfolgreiche Recyclingstrategie im Baubereich benötigt wegen der langen Nutzungsdauer zudem viel Zeit. Für das akute Problem des Klimaschutzes spielt das Thema des Recyclings daher faktisch keine Rolle.  

Recycling unterliegt hochkomplexen Prozessen 
Außerdem müssten die rechtlichen Vorgaben die Nutzung von Recycling-Produkten auch wirklich zulassen. Fakt ist: Selbst in den öffentlichen Ausschreibungen werden Recycling-Produkte nur sehr „zögerlich“ akzeptiert. Damit eine erneute Nutzung eines Produkts oder eine Wiedernutzung überhaupt möglich werden, muss eine Vielzahl an Vorschriften befolgt werden. Ein Produkt einfach wiederverwenden? Geht gewöhnlich nicht, da jedes Teil, das nicht mehr gebraucht wird, im ersten Schritt rechtlich als Abfall deklariert wird. Anschließend entsteht daraus ein neues Produkt. Es greifen also zunächst abfallrechtliche Bestimmungen und anschließend neue Vorschriften für das daraus entstandene Produkt. Die Prozesse sind hochkomplex. Auch Regularien für den Wasser- und Bodenbereich, die es nicht zulassen, Materialien aller Art aus einem abgerissenen Gebäude erneut einzubauen, kommen hierbei zum Tragen. Gelingt es hingegen, ein Gebäude weiter- oder umzunutzen, entfällt die „abfallrechtliche“ Bürokratie. 

Die Zukunft gehört dem bestandserhaltenden Bauen 
Nicht nur viele Architektinnen und Architekten oder die Stiftung Baukultur plädieren daher zunehmend für ein bestandserhaltendes Bauen, das eine Vielzahl von weiteren Vorteilen mit sich bringt. Bauen im Bestand verbraucht keine neuen Flächen und erfordert außerdem keinerlei zusätzliche Infrastruktur. Und leerstehende Industrie- und Verwaltungsgebäude gibt es viele innerhalb der Bundesrepublik. Auch die Baupolitik wird sich zunehmend mit dem „Abrissthema“ auseinandersetzen müssen. Vielleicht lassen sich ja die Anforderungen in punkto Energie und Nachhaltigkeit bei sanierten Gebäuden reduzieren oder gar eliminieren, wann immer ein Bestandsgebäude renoviert und weiter genutzt anstatt abgerissen wird? Schließlich ist der ökologische Fußabdruck bei sanierten Bestandsbauten deutlich niedriger als bei einem „energiesparenden“ Neubau. Daher gibt es sogar schon Forderungen nach einem grundsätzlichen Abrissverbot. 

Um Gebäude wiederzuverwenden, zu sanieren und zu reparieren bedarf es fachkundigen Personals. Das Problem der fehlenden Facharbeiter und Handwerker am Bau wird daher auch für die erforderliche Reparaturstrategie zu einer großen Herausforderung. Gerade das Handwerk ist ein Bereich, der mit großen Nachwuchsproblemen zu kämpfen hat. Das liegt weniger an der Vergütung, die im Handwerksbereich durchaus angemessen ist. Es braucht eine größere Aufmerksamkeit für das Thema Personalführung, um junge Nachwuchskräfte zu gewinnen und zu halten. Oft hängt die Attraktivität eines Berufs für die heutige Jugend auch schlicht von davon ab, wie Ausbilder ihre Nachwuchskräfte behandeln.  

Die Relevanz von Führung und Unternehmenskultur 
Einige Berufe, wie etwa der Schreiner- oder Tischlerberuf, haben eine hohe Beliebtheit erlangt. Ähnlich sieht es bei Jobs aus, bei denen regenerative Energien eine tragende Rolle spielen, wie etwa der Heizungsbau. Entscheidend ist aber, dass sämtliche Handwerksberufe heute und in Zukunft attraktiv sind. Denn Auszubildende sind die Botschafter für unsere Branche.  

Zudem ist zu beachten, dass das Arbeitsleben ein Marathon und kein Sprint ist. Sicherlich sind Zwischensprints möglich und bei einem hohen Auftragsvolumen oft auch erforderlich, aber Führung bedeutet auch, dem Nachwuchs klar aufzuzeigen, wie er sich seine Kräfte optimal einteilen muss, insbesondere bei körperlichen Arbeiten in einem Handwerksberuf. Kommunikation, Führung und Unternehmenskultur entscheiden darüber, ob junge Menschen in unserer Branche bei der Stange bleiben, oder ob sie irgendwann einfach keinen Bock mehr haben.  

Wenn wir eine Wegwerfgesellschaft bei Bauwerken vermeiden wollen, müssen wir im Handwerk nicht zuletzt für bessere Arbeitsbedingungen sorgen und so Anreize für Absolventen schaffen. 

Michael Halstenberg, Rechtsanwalt und Ministerialdirektor a.D., ist Leiter des Verbands- und Kooperationsmanagements Bau bei der VHV Allgemeine Versicherung AG.

Gleichzeitig engagiert er sich als Vorstandsmitglied der Initiative Deutschland baut! e.V. für ein besseres Image der Baubranche und eine Förderung der Attraktivität sämtlicher Berufe entlang der Wertschöpfungskette Bau. Ziel der Initiative ist es, dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzuwirken. Deutschland baut! fokussiert sich vordergründig auf Recruiting- und Führungsthemen und hat mit dem 18-monatigen Traineeprogramm ein erfolgreiches Produkt innerhalb der Branche etabliert, das gleichzeitig den Netzwerkaufbau im Baubereich fördern soll.  © privat

Michael Halstenberg, Rechtsanwalt und Ministerialdirektor a.D., ist Leiter des Verbands- und Kooperationsmanagements Bau bei der VHV Allgemeine Versicherung AG. Gleichzeitig engagiert er sich als Vorstandsmitglied der Initiative Deutschland baut! e.V. für ein besseres Image der Baubranche und eine Förderung der Attraktivität sämtlicher Berufe entlang der Wertschöpfungskette Bau. Ziel der Initiative ist es, dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzuwirken. Deutschland baut! fokussiert sich vordergründig auf Recruiting- und Führungsthemen und hat mit dem 18-monatigen Traineeprogramm ein erfolgreiches Produkt innerhalb der Branche etabliert, das gleichzeitig den Netzwerkaufbau im Baubereich fördern soll. © privat
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